Aktuelles
Rom im Banne deutscher Identität
Geschichte eines Verhängnisses
Geb., 600 Seiten. Manuscriptum, Lüdinghausen 2024.
Fast sämtliche der herausragenden deutschen Geistesmenschen zwischen 1750 und 1900 strebten nach der Größe einer Existenzform, die jenseits abendländischer Verbundenheiten und Herkunftslinien lag, nämlich in einem Land, das mit der »Seele« zu suchen sei, wo es »ganz anders« zuging als im »modernen« Europa, wo also nicht nur die vermeintliche »edle Einfalt und stille Größe« herrschten, sondern auch und vor allem die Vornehmheit unverdorbener Mentalität, wie sie nur in antiken, griechisch-römischen Vergangenheiten sichtbar geworden sei. Inwieweit also war die deutsche Rom-Idee mit all ihren Folgeerscheinungen und Mutationen treibende Kraft bei der kulturellen Entwicklung des Abendlandes gewesen, und welche führende Rolle hatte die »deutsche Bildung« dabei gespielt? Denn: ohne Rom keinen Katholizismus und damit keinen Protestantismus – und damit auch keine deutsche Klassik und Romantik, keine deutsche Philosophie und klassische Philologie, ja überhaupt kaum etwas von dem, was den »deutschen Geist« und die deutsche Geschichte so besonders gemacht und beidem ihren spezifischen Charakter verliehen hat. Ein merkwürdiges kulturelles Fernweh liegt sowohl der notorischen Griechensehnsucht der gebildeten Deutschen des 18./19. Jahrhunderts zugrunde, als auch ihrem noch viel älteren Hang zur Latinität, der zwar zuvörderst an der kirchlichen Überlieferung gebunden, spätestens aber mit Aufblühen des Humanismus in Deutschland immer stärker an einem römisch-heidnisch-antiken Bezugsrahmen ausgerichtet war.
INHALT
Grundlagen
I. RÖMERTUM UND DEUTSCHE GESCHICHTE
Translatio imperii
Kontinuität, Klerikaler Cäsarismus, Schwerpunktverschiebung, Reichsbegriff, Innerer Konflikt: romanisch versus germanisch, Deutsche und römische Schuldneurose, Vornehm versus gemein
Latinität in Deutschland
Macht und Einfluss der Alten Sprachen, Wert und Unwert des Lateinischen, Lob des Deutschen als Emanzipationsbestrebung, Roma non grata, Von Natur aus unpoetisch, Furcht vor dem Verfall, Vorbildliches und Verbindendes, Römisch-deutsche Parallelen, Annäherungen an die römischen Antiquitäten, Mangel an deutschen Gesamtdarstellungen, Niebuhr, Kobbe, Bachofen und Mommsen, Christlich-kirchliche Spurenelemente, Schwegler, Peter, Mommsen, Von der Republik zum Prinzipat, Geschichte der Kaiserzeit
Rom als Sehnsuchtsort
Fernweh, Wilhelm von Humboldt, Ernüchternde Reiseerfahrungen, Nostalgie aus innerer Unruhe, Goethe und Moritz
II. GEBURTSFEHLER DES ABENDLANDES
Roms Metamorphose
Innere Defekte, Roms weltgeschichtliche Mission, Gefahr der »Verrömerung«, Verderbnis der Sitten, Ovid, Bedürfnis nach einem neuen Glauben, Die konstantinische Wende, Sic transit gloria mundi, Degeneration als Fortschritt
Psychologie des Christentums
Die anthropotechnischen Verfahrensweisen, Geistesgeschichtliche Folgen, Tertullian und Augustinus, Konflikt zwischen Glauben und Unglauben, Abwendung vom Kirchlichen aus Einsicht in dessen Struktur, Rechristianisierung von rechts, Innere Bruchlinien
Incipit tragoedia Leiden an der Religion, Wurzeln der Verderbnis, Aufbruch und Krise seit den 1830er Jahren, Mittel zur Kompensation, Der Konflikt spitzt sich zu
III. HISTORISCHE ORTSBESTIMMUNG
Caput mundi und Polyhistorie
Versuche einer Weltgeschichtsschreibung, Verdienste der unteren Ränge, Erkenntnis der Weltalter, Caesar und Cicero, Der Streit um Cicero, Tacitus, Schwankende Urteile, Vergil, Augustus, Boëthius
Architektonik abendländischen Bewusstseins Schwer zugängliche Fundamente, Transformation durch Rezeption, Herausforderndes Erbe, Modernes Caesarentum, Römisches Bauen, Kunst des Klassizismus und des Historismus
Kampf zweier Ethiken
Bruch im Sittlichkeitsverständnis, Julianus Apostata, Zivilisationeller Prinzipat, Analoge Verläufe, Sinn und Funktion der Satire, Horaz, Persius und Juvenal, Sich verdichtende Räume, Leiden am Deutschen, Was heißt »Bildung«?, Abstieg ins Exil, Das degenerative Moment, Ausklang im Anderswo
Personenregister
Leseprobe: https://www.manuscriptum.de/rom-im-banne-deutscher-identitaet.html